Tierversuchsfreie Methoden sagen Leberschäden durch Medikamente vorher
Die Untersuchung der Lebertoxizität ist ein entscheidender Schritt in der Medikamentenentwicklung. Tierversuche und einfache Zellkulturen können eine Schädigung der Leber jedoch nicht zuverlässig vorhersagen. In einem von der Alliance for Human Relevant Science organisierten Workshop diskutierten Experten aus Industrie, Universitäten und NGOs, ob komplexe In-vitro-Modelle wie Organoide oder Leber-Chips eine präzisere Vorhersage ermöglichen. Die vorliegende Veröffentlichung wurde von den Teilnehmern des Workshops verfasst.
Die Leber kann durch bestimmte Medikamente geschädigt werden, was als drug-induced liver injury (deutsch: medikamenteninduzierte Leberschädigung; Abkürzung: DILI) bezeichnet wird. Diese Nebenwirkung kann von leichten Beschwerden wie Übelkeit bis zu lebensbedrohlichem Leberversagen reichen. Zahlreiche Medikamente, darunter Schmerzmittel wie Paracetamol oder Antibiotika, bergen ein Risiko für DILI. Zudem gehören DILI zu den häufigsten Gründen, warum neue Medikamente im Zulassungsprozess scheitern. Sie sind auch bei bis zu 21 % der vom Markt zurückgenommenen Medikamente Grund für ihre Rücknahme. Die frühzeitige Identifikation von DILI ist daher ein entscheidender Schritt in der Medikamentenentwicklung.
Tierversuche sind nicht aussagekräftig
Derzeit werden Leberschäden vor allem mit Tierversuchen oder einfachen 2D-Zellmodellen untersucht. Beide Methoden haben jedoch erhebliche Schwächen: Tierversuche liefern keine zuverlässigen Ergebnisse, unter anderem weil sich der Stoffwechsel von Tieren erheblich von dem des Menschen unterscheidet. Von Substanzen, die beim Menschen zu einer Leberschädigung führen, rufen nur 33 % in Tierversuchen mit Ratten und 27 % in Versuchen mit Hunden ebenfalls Leberschäden hervor. Einfachen 2D-Zellkulturen fehlen dagegen die komplexen Wechselwirkungen, die in der menschlichen Leber stattfinden.
Komplexe In-vitro-Modelle der menschlichen Leber
Komplexe In-vitro-Modelle (englisch: complex in vitro models, CIVMs) können die menschliche Leber präziser nachbilden als einfache 2D-Zellkulturen. Zu diesen Methoden gehören 3D-Zellkulturen, die aus kugelförmigen Zellhaufen (Sphäroide) oder organähnlichen Strukturen (Organoiden) bestehen. Eine weitere vielversprechende Methode sind Organ-on-a-Chip-Technologien, bei denen menschliche Leberzellen in mikrofluidischen Systemen kultiviert werden. Diese Leber-Chips simulieren den Blutfluss und die Sauerstoffversorgung der Leber, sodass Medikamente unter realistischeren Bedingungen getestet werden können.
CIVMs verbessern die Vorhersage einer Lebertoxizität
Vergleichsstudien zeigen, dass CIVMs deutlich bessere Ergebnisse liefern als Tierversuche oder 2D-Zellkulturen. So zeigte das 3D-Lebermodell InSphero InSight™ eine höhere Empfindlichkeit bei der Vorhersage von Leberschäden: Es erkannte in 52 % der Fälle korrekt eine Lebertoxizität, während herkömmliche 2D-Zellkulturen lediglich 33 % erreichten.
Besonders vielversprechend ist die Leber-Chip-Technologie von Emulate, die eine Empfindlichkeit von 87 % aufweist. Das bedeutet, dass sie 87 % der tatsächlich leberschädigenden Substanzen korrekt als toxisch identifiziert. Gleichzeitig liegt die Spezifität bei 100 %, sodass nicht lebertoxische Substanzen zuverlässig als ungefährlich eingestuft werden. In den Versuchen wurden explizit auch Substanzen getestet, die in Tierversuchen fälschlicherweise als nicht lebertoxisch klassifiziert wurden – ein klarer Beleg für die überlegene Vorhersagegenauigkeit von CIVMs.
CIVMs können nicht nur zu sichereren Medikamenten beitragen, sondern auch die Kosten der Medikamentenentwicklung erheblich senken. Schätzungen zufolge könnte die bessere Vorhersagekraft des Leber-Chips der Pharmaindustrie einen Produktivitätsgewinn von 3 Milliarden US-Dollar bringen, indem toxische Arzneimittelkandidaten bereits früh erkannt und aussortiert werden.
Ausblick und Fazit
Mit zunehmender Verfügbarkeit und Weiterentwicklung könnten CIVMs in Zukunft eine Schlüsselrolle in der Medikamentenentwicklung übernehmen. Dafür müssen jedoch bestehende Hürden, wie fehlende einheitliche Zulassungsstandards, überwunden werden. Die Autoren schlagen daher eine engere Zusammenarbeit zwischen Regulierungsbehörden, der Industrie und der Wissenschaft vor, um die Integration dieser innovativen Methoden in den Arzneimittelprüfprozess zu erleichtern.
Zusammenfassung
27.02.2025
Dr. rer. nat. Johanna Walter